Robert Laurer lud wieder Kinder zur Teilnahme an einem Ferienaufenthalt in Egestorf ein und machte dazu 1932 Werbung im Verein der „Freien Menschen Leipzig”. Dies hatte den großen Vorteil, dass sich die Kinder bereits kannten und die Fahrt von Leipzig nach Egestorf gemeinsam antreten konnten.
Mädchen und Jungen im Alter von 7 bis 14 Jahren nahmen an dem dreiwöchigen Aufenthalt im Ferienlager teil. Die 14 Kinder waren in einem der großen Sonnenhäuser untergebracht. Die kleineren Kinder hörten auf die größeren Kinder, welche wiederum von den erwachsenen Betreuern angewiesen wurden. So wurde ein harmonisches Gruppenleben garantiert.
Vom Weckruf, der morgendliche Hygiene und über den Frühsport bis letztlich hin zur abendlichen Bettruhe lag alles in
den Händen der Kinder, wobei die Betreuer zum Glück nur selten einmal eingreifen mussten.
Und auch zu Wanderungen im weitläufigen Umland musste man die Kinder nicht überreden.
Kinderferienlager - Diesmal stammten die Kinder und Helfer von den „Freien Menschen Leipzig”. Schwere Gewitterwolken standen am politischen Himmel, als die Reise losging. Nicht nur, dass der Reichskommissar Bracht (1) einenkompakten Angriff auf die Körperkulturbewegung eröffnet hatte, sondern der Ausgang der Reichstagswahl hatte zu Terrorakten geführt, die größere Unruhen befürchten ließen.
Aber das dreiwöchige Lager, die Zu- und Abreise verliefen reibungslos und ohne Zwischenfälle.

Die Kindergruppe war sehr glücklich zusammengesetzt. Vom 7. bis zum 14. Lebensjahre waren ale Altersstufen vertreten, Knaben und Mädchen gut verteilt. Die Kinder kannten sich nur zum Teil näher und mussten sich zu einem harmonischen Gruppenleben erst zusammenbeißen. Das war jedoch in kurzer Zeit erreicht. Wer in Erziehungsfragen keine Erfahrung hat, dem hätte es geradezu auffallen müssen, wie stark sich die Gemeinschaft selbst erzog und wie wenig die Helfer Anlaß fanden, ordnend und schlichtend einzugreifen.
Der Grund dafür ist aber ganz einfach: es waren alle äußeren Bedingungen erfüllt, die ein reibungsloses Zusammenleben gewährleisteten. Raum war genügend vorhanden. Hunger war unbekannt, Körperpflege war im weitesten Maße möglich, Beschäftigungsmöglichkeiten gab es übergenug.

Doch nun sei erst enmal das Lagerleben selbst kurz geschildert !
Die ganze Gruppe war untergebracht in einem der großen Sonnehäuser des Egestorfer Geländes. Da schliefen wir auf Strohsäcken, Decken waren reichlich vorhanden. Licht und Luft und Sonne konnten wir in vollen Zügen genießen. Die Tageseinteilung haben wir der Geländeordnung angepaßt. Wenn die Gymnastiklehrerin zur Gymnastik rief, so alt das auch uns als Weckruf. Schnell wurde der Schlaf aus den Augen gewischt und der Mund ausgespült, und dann gings zur Gymnastik. Man konnte manchmal schwer unterscheiden , ob sich die Kinder mehr über die Übungen freuten oder die übrigen Erwachsenen Teilnehmer mehr über den Eifer und das Geschick der Kinder. Jedenfalls war die gemeinsame Gymnastik für beide Teile eine Bereicherung.
Und dann im Eillauf zum Morgenbad in den Teich ! Im Wasser sind die Kinder in ihrem Element.
Wie dann die Morgensuppe schmeckte ! - Nach dem Frühstück gings zum Arbeitsdienst. Zunächst wurden das Lager, das Schuhwerk und die Kleider in Ordnung gebracht. Einige Mädels halfen in der Küche. Die Jungen aber achen sich über den im Entstehen begriffenen großen Sportplatz her und halfen planieren. Da ist manche Schippe Sand geworfen, mancher Karren abgefahren und mancher Eimer voll Steine gesammelt worden ! Wir haben uns gefreut, auf diese Weise etwas zum Ausbau des Geländes mit beitragen zu können.

Nach dem zweiten Frühstück wurde gespielt. Jedes Kind brachte da Anregungen mit. Man teilte sich auch oft ganz zwanglos in Gruppen auf. Faustball, Ball über die Schnur, Ringtennis, Dreimannhoch (2), Jägerball (3). Am beliebtesten war jedenfalls „Räuber und Gendarm”. Da stand das ganze große Gelände mit seinen Waldungen, Schluchten und sonstigen Verstecken zur Verfügung. Wie ging es da über Stock und Stein im stürmischen Lauf ! - Das Egestorfer Gelände ist für Kinder „das” geeignete Gelände. Bei seiner Größe umfaßt es alles, was das Herz wünscht: Waldgruppen, Spielplätze und Wasser.

Bei so viel Bewegung mussten wir auch einmal eine kurze Ruhezeit anordnen. Nach dem Mittagessen legten wir uns eiin Stündchen aufs Lager. Wer konnte und wollte, schlief bald ein, andere lasen oder schrieben ihr Tagebuch. Nach der Ruhezeit wurden Briefe geschrieben ... und dann ging das Spielen weiter.

Ein echtes Heideerlebnis war die Wanderung in das Naturschutzgebiet und auf den Wilseder Berg (4). Die düsteren Wachholderbüsche, die strohgedeckten Heidehäuser, die Bienenstände und vieles andere erweckten das Interesse immer wieder aufs neue.

Das Ferienkinderlager wird so mit beitragen zur Verbreitung und Förderung der Freikörperkulturidee.
Text (leicht gekürzt): H. Schmidt
Quelle und Bilder:
• Licht-Land, 1932
• Lachendes Leben 12/1932

Aktualisierungen:
26.11.2025 → Seite erweitert
15.08.2021 → Seite erstellt

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(1)
Franz Bracht (1877-1933) wurde ab Juli 1932 Reichskommissar für das Preußische Ministerium des Innern sowie zum stellvertretenden Reichskommissar für Preußen ernannt, wodurch er bis Januar 1933 faktisch die preußische Regierung an Papens Stelle leitete. Bracht zeichnete für die letzte Polit-Posse der Weimarer Republik verantwortlich. Am 28. September 1932 erließ er die Polizeiverordnung zur Ergänzung der Badepolizeiverordnung vom 18. August 1932, den sogenannten „Zwickelerlass”.
Bereits zuvor hatte Bracht im August 1932 einen „Kreuzzug gegen die Unsittlichkeit” gestartet und wollte gegen die „Nacktkultur” vorgehen.
Mit seinem „Preußenschlag” gehörte Bracht zu jenen Politikern, die Adolf Hitler den Weg zur Macht ebneten.

(2)
„Dreimannhoch” ist ein Lauf- und Fangspiel, bei dem eine verfolgte Person sich durch Hinlegen zu einem Paar retten kann und so den anderen aus der Reihe drängt, der dann der neue Fänger wird.

(3)
„Jägerball” ist eine Bezeichnung für „Völkerball”, bei dem Spieler mit einem Ball gejagt und abgeworfen werden.

(4)
Der Wilseder Berg im Gemeindegebiet der Gemeinde Bispingen ist mit 169,2 m ü. NHN die höchste Erhebung in der Lüneburger Heide und im Heidekreis.