Herborn-Seelbach
Gluthitze? Auf zum Bad in die Aar
Schon morgens rinnt Schweiß von der Stirn? Nachmittags 34 Grad im Schatten? In Herbornseelbach – und sicher nicht nur da – galt zumindest früher: Auf zum Planschen in die Aar! Alfred Benner wirft einen Blick auf das Badeleben in seinem Heimatort.
Von Alfred Benner
HERBORN-SEELBACH - Schon morgens rinnt Schweiß von der Stirn? Nachmittags 34 Grad im Schatten? In Herbornseelbach – und sicher nicht nur da – galt zumindest früher: Auf zum Planschen in die Aar! Alfred Benner wirft einen Blick auf das Badeleben in seinem Heimatort.
Alte Bild- und Zeitungsdokumente bestätigen, dass bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in der Aar gebadet wurde. Nicht in einem Weiher, geschweige denn in einem Schwimmbad, sondern in dem kleinen Flüsschen. In der Mitte zwischen der Walzenmühle und der unteren Aarbrücke waren die besten Voraussetzungen gegeben, einen sogenannten „Badekomp” anzulegen.
Die Jungs planschten im „Badekomp”, im „Gäulskomp” und auch in der „Schafwäsch”
Dazu war es erforderlich, von den Eigentümern der Wiesen links und rechts der Aar die Erlaubnis zu erhalten, die Uferböschungen ein wenig abzutragen. Das Flussbett wurde verbreitert, und der „Badekomp” entstand.
Der Zugang führte mitten durch den Wiesengrund über einen schmalen Pfad, der mit Holzpfählen markiert war. Es wurde großen Wert darauf gelegt, das Gras in den Wiesen nicht unnötig zu zertrampeln. Jeder Quadratmeter Wiese bedeutete Futter für das Vieh. Auch unterhalb der unteren Aarbrücke, wo Sonntagsmorgens im sogenannten „Gäulskomp“ die Pferde gewaschen oder gebadet wurden, tummelten sich kleine und große „Wasserratten” in der Aar.
Das älteste Bilddokument lässt erkennen, dass die Kinder nackt oder in Unterhosen badeten. In den 20er Jahren trugen die Jugendlichen beim Baden die gleiche Sporthose, die auch beim Freizeitsport im Turnverein oder Sportclub diente.
Das weibliche Geschlecht war unterrepräsentiert. Den Bikini gab es in Herbornseelbach noch nicht. Das „Laibchen“ (Unterwäsche) wurde von den Mädchen zum Baden angezogen. Es gab weder einen lizenzierten Schwimmlehrer noch eine DLG-Aufsicht. Zum Erlernen des Schwimmens wurden dem übenden eine verschlossene mit Luft gefüllte Büchse auf den Rücken gebunden. Zusätzlich wurde der Nichtschwimmer mit einer Leine links und rechts an seinem Körper gesichert und von zwei Kameraden im Wasser geführt.
Kopfsprünge wurden zumeist mit Anlauf von der Uferböschung ausgeführt. Als im Laufe der Jahre der „Badekomp“ eine ausreichende Tiefe hatte, kletterte man in das Geäst eines hohen Weidenbaumes und machte einen sogenannten „Käppert“ (Kopfsprung) in die Tiefe.
In einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1950 erinnerte Schulrat Wilhelm Witzel in einem offenen Brief an den Turnverein an das Badeleben, wie er es selbst als Lehrer vor dem Ersten Weltkrieg in Herbornseelbach erlebt hatte. Wörtlich schrieb er: „Ihr lieben Kerle! Noch sehe ich Euch wie damals auf der Wiese am Bach, höre über Zeit und Raum hinweg Euer Jauchzen. Mit wahrer Todesverachtung sprangt Ihr hinab in die ,Schafwäsch’, um sofort lachend, prustend und augenreibend zu neuem Sprung zu entwetzen. Ihr waret ja sicher, dass über Euch Euer Kamerad wachte, und in seiner Hut wusstet Ihr Euch geborgen.
Am schönsten war es, wenn „Naumanns Willemche” half und die Jungs mit ins Wasser schlänkerte
„Am allerschönsten aber war es doch am Sonntagmorgen, wenn »Naumanns Willemche« (Wilhelm Naumann, Turnwart im Turnverein) oder ein anderer Turner Eurem Lehrer half und Ihr an Händen und Beinen hineingeschlänkert wurdet in den tiefen Pott, so verlort Ihr alle Wasserscheu und wurdet durch systematische übungen wackere und sichere Schwimmer.”
Als Lehrer Witzel diesen Brief schrieb, war vorausgegangen, dass der damalige poetische Mühlenbesitzer und Architekt Theo Wieth mit einem Schreiben vom 19. Juli 1949 dem Bürgermeister Pläne vorgelegt hatte, um im Dernbach – gegenüber dem jetzigen Zufahrtsweg zur Seelbacher Grillhütte – eine Freibade-Anstalt zu errichten. Zur Diskussion standen auch geeignete Plätze im „Burnwiesen“ , der Monzenbach und im Essenbachtal. Ausreichendes, natürliches und sauberes Wasser gab den Ausschlag, die Pläne für den Standort Dernbachtal zu erstellen. Die Planung schloss ein Hotel gegenüber dem Badeweiher mit ein – an der Stelle, wo vor wenigen Jahren die Schafhalle abgerissen wurde. Am Ende ist aus dem geplanten Vorhaben aber nichts geworden – und die Dorfjugend badete weiterhin in der Aar.
Spätestens anfangs der 70er Jahre sollte sich das ändern: 1973 stellte Bürgermeister Hans Weber den Bauschein-Antrag zur Errichtung eines Hallenbads mit einem 25-Meter-Becken in Seelbach. Die alte Volksschule wurde dafür abgerissen. 1974 war die Eröffnung.
1977 wurde Seelbach nach Herborn eingemeindet. Später beschloss das dortige Stadtparlament die Schließung des kleinen Hallenbads. Die Seelbacher waren zutiefst enttäuscht, doch alle Proteste halfen nichts.
Ein neues größeres Hallenbad sollte für alle Herborner Bürger errichtet werden. Als Standort war zunächst der Gaulstein, wo die Gemarkungsgrenzen von Herborn, Burg und Seelbach zusammenstoßen, im Gespräch. Gebaut wurde dann aber doch in der Herborner Au. Doch 2010 kam auch für das dortige Wellenbad das Aus. Seitdem sind nicht nur die Seelbacher, sondern alle Herborner ohne Hallenbad.
Das Gebäude in Seelbach machte derweil so manchen Wandel durch: Es diente als Kleiderfabrik, später als Asylbewerberheim, und es beheimatete eine Wohnung. In einem Teil hat die Herbornseelbacher Missionsgemeinde seit 1997 ihr Gotteshaus untergebracht. Der andere dient dem Pflegeteam Aartal als Firmensitz.
Text und Bild von Alfred Benner
Mit freundlicher Unterstützung durch mittelhessen.de