Die  Märchenwiese

Die „Märchenwiese” gehört zu den acht (→ 1929)
Nacktbadegeländen, die am Motzener- und dem
nahen Tonsee nach und nach entstanden waren.

Hier trafen sich vor allem die Lichtfreunde aus allen
Teilen Berlins zu paradiesisch-frohem Wochenend-
treiben.

Niemand schätzt die Schönheit der engeren Umgebung der Reichshauptstadt höher als der Berliner selbst. Wenn in den Sommermonaten Familienausflüge in die freie sonnendruchflutete Natur gemacht werden, erlebt man stets herzerquickende Bilder innigen Zusammenlebens und Beweise echter Natur- und Heimatliebe.
Zu solchen gemeinsamen Ausflügen in den Wald und an die zahlreichen Seen dient das Wochenende. Man hat dann anderthalb Tage zum Ausruhen von der an fünfeinhalb Tagen geleisteten Arbeit vor sich und kann im aufgeschlagenen Zelt auch eine Nacht und dem gestirnten Himmel verbringen.
Das „Zelten” ist in der letzten Zeit sehr beliebt geworden. An den Seeufern erblickt man hier und da ganze Zeltkolonien, in denen Gleichgesinnte behaglich „kampieren”. Die nötigen Decken, Kissen und Lebensmittel werden von zuhause mitgenommen, man kocht ab, badet, ruht aus und schläft.

Wanderruderer und Segler veranstalten ebenfalls derartige Erholungsausflüge. In irgendeiner schilfreichen, vom Hochwald überschatteten Bucht errichten sie ihre Zelte und genießen die ozonreiche Waldluft. Natürlich fehlt beim frohen Wochenende auch nicht der Wandervogel.

„Hier laßt uns nicht Hütten, aber Zelte bauen!” - Emsige Hände von Jungen und Mädels rühren sich sogleich, andere packen die Rucksäcke aus und ordnen den Inhalt. Guitarren (ja, wurde damals wirklich so geschrieben!), Lauten, Violinen und Flöten helfen durch ihre klangreiche Melodien die Arbeiten zu beschleunigen - Das Zeltlager ist fertig.

Das Zeltleben spielt sich natürlich sehr verschieden ab, aber trotzdem hat jeder Lagertag seinen festen Plan, der den Grundsätzen der Freikörperkultur angepaßt ist. Wenn auch ein frisch-fröhliches Treiben die Vorbedingung des Gelingens des Wochenendausflugs ist, so darf es dennoch nicht an Ein- und Unterordnung fehlen.

Rasch eilen die Stunden der Erholung dahin. Geht die Sonne zum zweiten Male unter, dann muß leider eingepackt werden...

Text/Quelle: Guido Leonhardt, „Die Schönheit” - September 1930



Weitere Informationen:
Für die damalige Zeit sehr gut, aber vor allem einfach zu erreichen, reiste man mit der „Bimmelbahn”, einer kleinen Dampfbahn, von Berlin aus an. Damit der Weg vom Bahnhof nicht zu weit wurde, hielt die Bahn, nach Absprache mit dem Lokführer, auf freier Strecke, damit die sonnenhungrigen „Lichtkämpfer” aussteigen konnten.

Etwas später, die Nacktbadekultur auf der „Märchenwiese” hatte sich etabliert, baute man sogar eine eigene kleine Bahnstation, nun besaßen sie Europas einziges FKK-Gelände mit einem direkten Gleisanschluss.

1968 fuhr die letzte Motzenersee-Bahn, jedoch blieben die Schienen zwischen Töpchin und Mittenwalde erhalten und man kann als Freizeitspaß heute (jedoch textil) mit eigener Muskelkraft auf Draisinen die Strecke befahren.

Der Motzener See gilt auch als „die nasse Wiege der deutschen Freikörperkultur”, damals noch »Nacktkultur« genannt.

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