Essays
Lehrer - Kinder - und Freikörperkultur
Angeregt durch verschiedene Schriften versuchte ich vor einigen Jahren in meiner gemischten Klasse der Zehnjährigen, allerdings nur mit den Knaben, das Nacktbaden einzuführen.
von Hans Konrad
mit Bildern vom Verfasser
Dazu bot sich auf Wandertagen Gelegenheit, wenn wir nach längerer Wanderung an schattigen Ufern eines Teiches oder Flusses anlangten. An eine Ecke stationierte ich die Mädchen, an der anderen blieb ich mit den Knaben. Meine Jungen - neun an der Zahl - waren mir als echte „Wasserrntten” bekannt. Nun bedauerten die meisten, keine Badehosen mitzuhaben. Als ich entgegnete, dass es sich doch ohne dies Möbel viel schöner badete, machten einige den schüchternen Anfang, andere streiften Ihre Hosen wieder ab. Alle aber packte eine unbändige Freude.
Ich glaubte zwar, nun sei der Bann gebrochen, aber jedesmal, wenn wir wieder badeten, galt es aufs neue, alte Hemmungen zu überwinden. Erst nach Jahren (!) in der 2. und 1. Klasse hatte ich die meisten so weit, dass sie sich ohne „Zieren” nackt bewegten. Dabei habe ich nun im Laufe der Zeit folgende Beobachtungen gesammelt:
- Das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler wird grösser, nie habe ich eine Klasse gehabt, mit der mich (auch mit den Mädchen) ein solch inniges Band der Freundschaft verknüpfte.
- Die Kinder lernten, sich mit mir über natürliche - im landesüblich „moralischen” Sinne „ketzerische” Dinge - natürlich und freimütig zu unterhalten. Ich konnte sie daher über manches belehren und vor manchem warnen, was ich sonst nicht getan hätte.
- Den Eltern gegenüber hielten die meisten der Knaben ihr Nacktbaden geheim.
- Sie hatten stets eine heillose Angst, von etwa vorübergehenden Erwachsenen oder gar Mädchen gesehen zu werden.
- Sie waren daher in dem Brausebad der Jugendherbergen ungezwungener als in der fichtenumrauschten Natur.
- Sie freuten sich immer auf die „Licht-Land”-Hefte und betrachteten die Bilder mit grossem Ernst.
- Ich konnte deutlich feststellen, wer zu Hause natürlicher oder mit Prüderie oder nach „herkömmlicher” Weise erzogen wurde. Die ersteren waren die „anständigsten” und machten auch kein besonderes Aufheben von ihrem Nacktsein,
- Obgleich meine Kinder als ausschliesslich Arbeiterkinder von Eltern stammen, die als sozusagen „fortschrittlich” die „bürgerliche Moral” ablehnen, habe ich dennoch wahrgenommen, dass die Arbeiter z. T. am schwersten für den Freikörperkulturgedanken zu gewinnen sind und besonders fest an hergebrachten „Sitten” festhalten.
Es wäre mir interessant, die Erfahrungen anderer Amtsgenossen kennenzulernen. Das sächsische Volksbildungsministerium verbietet das Nacktbaden zwischen Lehrer und Mädchen und Lehrerinnen und Knaben. Darin wäre ich auch wegen der leider mögliehen Redereien und Missdeutungen vorsichtig. Wie halten es nun andere Amtsgenossen überhaupt mit den Kindern, baden sie selbst nackt mit? Um nicht bösen Zungen Stoff zu geben, habe ich bisher nicht mitgetan. Ich glaube aber, der Erfolg wäre besser.
Wie kann ich überhaupt die Jungen von der Zwecklosigkeit der Badehose überzeugen?
Wie kann ich die Eltern gewinnen?
Lehrer Hans Konrad
aus: Licht-Land - Ausgabe 13 / vom 1. Juli 1930
Damit bezüglich der oben gezeigten Bilder keine Missverständnisse entstehen: Die Bilder gehören zum Text, wie die Abbildung der entsprechenden Seiten aus dem Heft „Licht-Land” zeigen. |