Essays
„Nacktheit” auch als einen wirtschaftlichen Faktor in Betracht ziehen
Ein für eine Stadt aus dem sonst üblichen Rahmen fallenden Event zu beantragen, ist enorm schwer. Kommt dann auch noch der Begriff „nackt” mit ins Spiel, wird meist sofort abgewunken, „Sodom und Gommorrah” befürchtet.
oder
„Wie man den Nackten doch noch in die Tasche greifen kann...”
von Michael Otto
Dabei kann so ein Event, wie zum Beispiel der „WNBR” (1) oder ein in Stadtnähe befindlicher Nacktwanderweg sogar die Infrastruktur (2) begünstigen, die Wirtschaft positiv beeinflussen. Ganz zu schweigen von der Werbung für die Stadt, für die Region.
Als Beispiel möchte ich hier den WNBR in London aufzeigen, wo der größte „ride” stattfindet. Waren es anfänglich nur wenige hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer, waren es zuletzt gut 3500 Frauen und Männer, welche nackt auf einem Fahrrad, Rollern oder Rollschuhen durch London fuhren. Man kann nun davon ausgehen, dass ein paar hundert der Teilnehmerinnen und Teilnehmer direkt aus London und Umgebung stammen. Sicherlich waren auch einige dabei, die nur für diesen einen Tag in London waren, die meisten aber kamen aus anderen Städten und Ländern (Deutschland, Frankreich, sogar aus den USA und Australien und noch aus vielen anderen Ländern). Da es sich nicht lohnt, einen so weiten Reiseweg auf sich zu nehmen, nur um an dem WNBR teilzunehmen, verbindet man diese Fahrradprotestaktion am besten mit einem verlängerten Wochenende, oder gleich mit einem ganzen Urlaub - die Gelegenheit ist nun einmal günstig.
So auch ein befreundetes Ehepaar, eigentlich eher Frankreich-Fans und -Urlauber, aber der WNBR und auch der Gedanke daran, einmal nackt auf dem Fahrrad durch London zu fahren, war jedoch zu verlockend, einmal ein verlängertes Wochenende in dieser Großstadt zu verbringen. Mit Anreise am Donnerstagabend haben sie 4 volle Tage in der Stadt verbracht. Hauptattraktion und Reiseziel für sie als Naturisten war selbstverständlich die Teilnahme am WNBR, darüber hinaus besichtigten sie natürlich auch weitere touristische Highlights der Stadt: Buckingham Palace, den Tower, Madame Tussaud, die Downing Street und so weiter, auch ein Musical-Besuch stand auf dem Plan.
Fazit: sie kommen wieder.
Betrachten wir die Kosten, so haben wir allein für das verlängerte Wochenende ganze 4 Hotel-übernachtungen, hinzu kommen dann vor Ort noch die Ausgaben für die Verpflegung, Eintrittsgelder, Fahrtkosten (der Doppeldecker und Taxi mussten auch sein) und die Mietgebühren für ein Fahrrad (man kann ja nicht immer sein eigenes Fahrrad mitnehmen).
Wenn wir dies nun auf gut und gerne 2500 weitere Personen hochrechnen, welche ebenfalls länger als einen Tag in London blieben, dann kommen wir ganz schnell auf eine recht hohe Summe ... und damit zusätzliche Steuereinnahmen - Steuereinnahmen, die die Stadt ohne den WNBR nicht gehabt hätte.
Hinzu kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt, die Werbung für die Stadt. So ein Nacktevent, wie der WNBR, ist immer eine Schlagzeile wert, nicht nur in den lokalen Nachrichten, sei es nun in der Zeitung, im Fernsehen und im Radio. Die austragende Stadt zeigt sich nicht nur „weltoffen”, sie ist „weltoffen” ... und somit sympathisch, jung und dynamisch.
Nun, wenn man hier in Deutschland einen WNBR durchführt, dann darf man nicht gleich mit so einer hohen Zahl von Teilnehmern rechnen - auch der WNBR in London hat mal klein angefangen und musste erst wachsen.
ähnliches gilt auch für Nacktwanderwege, wenn sie beantragt und offiziell werden sollen. Ich fahre nicht 6 Stunden, oder mehr, nur um 2 Stunden nackt wandern zu können ... auch nicht, wenn die Gegend besonders schön ist. Eine solch lange Anreise muss sich schon lohnen, mindestens mit einer Übernachtung.
Und nach einer erfolgreichen Wanderung ist der Gang in den nächsten Gasthof auch schon fast obligatorisch, da hat man dann auch richtigen Hunger auf etwas deftiges.
(1) - WNBR = World Naked Bike Ride. Ein seit 2001 jährlich stattfindender Fahrradprotest, der seinen Ursprung in Saragossa (Spanien) hat. Ausgetragen wird der WNBR weltweit in zahlreichen Städten.
(2) - Die Infrastruktur umfasst alle langlebigen Einrichtungen materieller oder institutioneller Art, die das Funktionieren einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft begünstigen.