Nacktwanderung und Zeltlager - 1921

Nacktwanderung und Zeltlager

Die Bahn bringt uns noch gemütlich und schnell nach Schneverdingen, hier angekommen und versammelt treten wir nun eine etwas längere Wanderung an. Unser Ziel ist ein Pfadfinderlager in der schönen Lüneburger Heide. Als wir Schneverdingen hinter uns gelassen haben, legten wir eine Rast ein, nicht nur, um uns für den weiteren Weg zu stärken, sondern auch, um uns von Hemden und Hosen zu befreien.

„Wir traben in die Weite...”, so schallt es froh und hell aus unseren jungen Kehlen. Ein langer Zug von Knaben, jungen Männern, Mädchen und jungen Frauen, allseits im Geburtsgewand, zieht auf den schmalen Wegen der Heidelandschaft zu einem Lagerplatz, der sonst den Pfadfindern vorbehalten, aber nun unserer munteren Lichtschar für 7 Tage versprochen ist.
Schwer bepackt ist ein jeder von uns. Für ein Lager genügt das leichte Marschgepäck nicht, mit dem man sonst auf frohe Fahrt hinauszieht. Alles ward mitgenommen, was wichtig erschien.
Nach kurzem Marsch macht der Zug am Lagerplatz halt. Neugierige Blicke schweifen umher, jeder sucht nach dem schönsten Lagerplatz. Doch so einfach ist das nicht, die Verteilung des Lagerplatzes wird gemeinsam besprochen. In einem offenen Halbkreis, in dessen Mittelpunkt sich eine mächtige Feuerstätte befindet, werden die einzelnen Zelte errichtet.
Schon entwickelt sich eine fieberhafte Tätigkeit. Ein Zelt nach dem anderen entsteht, von geübten Händen erbaut. Die einen errichten ein gemeinsames großes Zelt, die anderen bauen viele kleine Spitzzelte, die sie in einem geschlossenen Kreise anordnen. Sie sind für die Knaben, die ihr eigenes Abenteuer suchen. Nachdem die Zelte auch innen nach jedwedem Geschmack ausgebaut wurden, ging es an die Gemeinschaftsarbeit. Ausreichend trockenes Holz für die Feuerstätte wurde benötigt und herangeschafft, der Lagerplatz gefegt und auch ein Abort angelegt. Ein Stück entfernt und nach Männlein und Weiblein getrennt.
Schließlich darf auch der Klampfenbaum nicht vergessen werden, denn nicht selten kam es vor, daß ein Junge oder Mädchen versehentlich auf eine am Boden liegende Laute trat, die dann mit krachendem Klageton ihr Leben aushauchte.
Nach wenigen Stunden schon steht das Lager. An der Kochstelle brennt ein lustiges Feuer, in den Kesseln brodeln allerlei Herrlichkeiten, Herrlichkeiten gewiß nur für den, der selbst einmal draußen gekocht hat; aber verhundert ist noch nie jemand. Bei einem Zeltlager, da haben die Frauen das Wort ... und da müßen auch wir Jungen dann unter dem strengen Auge der Frauen Gemüse putzen und Kartoffeln schälen. Ein kurzer Ruf erschallt und alle eilen zu den Kesseln. Auch der Abwasch ist bei einem Zeltlager die Arbeit von Männlein und Weiblein.
Nach getaner Arbeit folgt der gemütiche Teil, ermattet sitzen wir um das Lagerfeuer herum, doch die Musik macht uns wieder munter. Die Klampfe ertönt zu bekannten Weisen und wir singen alle mit. Nach einigen Liedern ist Schlafenszeit und wir ziehen uns in unsere Zelte zurück.

Auch im nahen Dorfe hat es sich herumgesprochen, daß eine Schar junger Menschen im Geburtsgewand die Pfadfinderlagerstatt benützt. Bei unseren Wanderungen, die wir jeden Tag unternehmen, begegnen wir auch immer mal wieder Bewohnern des Dorfes. Es folgt dann stets ein freundlicher Gruß, welcher ebenso freundlich erwidert wird. Dabei erscheint es uns so, als ob sich jene Leut' uns mit Freude anschließen möchten.
Die täglichen Wanderungen, die vielen Spiele, aber auch die Arbeit sorgen dafür, daß die Zeit sehr schnell vergeht. Im Nu sind die sieben Tage vorbei und das Zeltlager muß voller Wehmut abgebaut werden.


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Text: © K.-W. Schmidt
Der Text stammt aus einem Aufsatz des damals 17-jährigen K.-W. Schmidt (1904-1971)
aus Hannover, und wurde mir freundlicherweise von seinem Enkel zur Verfügung gestellt
und von mir buchstabengetreu wiedergegeben.

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