Nacktwanderung

- Auszug -


Zwei glückliche Tage

Etwas vom Nacktwandern von E. Kühn

Urlaub !
Wenn auch nur auf zwei Tage ! Aber Aussicht auf Freiheit, Natur, Bäder in Licht, Luft, Sonne und Wasser! Wandern, vielleicht sogar Nacktwandern! Wie das lockt !
Hilflos, unentrinnbar gebannt in das dunkle, öde Büro inmitten dieses steinernen Meeres der Großstadt, sehe ich die lange Reihe der Sommersonnentage vorbeiziehen, einen schöner als den anderen, lockend, rufend zur Wanderung draußen, zwischen blumigen Auen, wogenden Getreidefeldern, an murmelnden Bächen, in grünenden Wäldern, an rauschenden oder auch so lieblich stillen Wassern.

Aber, seit wir arm geworden, hieß es entsagen, arbeiten von früh bis spät. Kaum, dass Sonntags einmal im Monat Zeit wurde, zu einem Flug ins Freie. Und nun tut sich plötzlich die Tür des Käfigs auf! Frei, für zwei volle, lange, schöne Tage frei!

Natürlich geht es hinaus in die Natur. Ein schöner Augusttag sieht uns bald nach acht Uhr morgens, einen kleinen Ort rasch durchschreitend und einen wenig begangenen Pfad einschlagen. Dichter Wald nimmt uns bald auf. Kaum umarmt uns der trauten Stämme Zahl, so hemme ich den Schritt und bedeute meinen Freund, dass ich auf nicht herkömmliche aber sehr genußreiche Weise zu wandern gedenke. Rasch entledige ich mich aller Kleidung, die im Rucksack verstaut wird. Nur ein ganz minimaler Schurz deckt die Blöße.

Der Weg führt etwas bergan. Wie wandert es sich so herrlich - nackend ! Wie sanft schreitet der Fuß auf dem grünen Moosteppich, wie umspielen warme, laue oder kühlende Winde so wonnig den Körper, wie tanzen die Sonnenstrahlen so lustig auf der sonnengebräunten Haut.


» Mittagsrast « - Hermann Verwoorts, 1925
Mein Kamerad in seinen warmen Kleidern und enganliegenden Stiefeln
keucht und stöhnt, als wir stark aufwärts uns wenden, findet aber nicht den
Mut, mein Beispiel nachzuahmen, wenn er auch zugibt, daß mein "Kostüm"
weit angebrachter, sicher gesünder und vielleicht auch schöner ist.

Wir verlassen den Weg und pilgern quer durch den Wald. Da dieser an-
scheinend ganz menschenleer ist, fällt bei mir die letzte Hülle, ich wandere
ganz nackt ! - Das ich wundervoll. Etwas Schöneres, Reineres, Höheres,
als so nackend in Gottes Natur zu wandern, gibt es wohl kaum.

Aber gleich melden sich störende Gedanken !
Ist es nicht Sünde, anstößig, unsittlich, ärgerniserregend, sich derart nackt
„öffentlich” herumzutreiben? Wie kann ein erwachsender, wohlerzogener
Mensch so „schamlos” sein? - - - Wenn es doch gelänge, allen Menschen
oder wenigstens der großen Allgemeinheit verständlich zu machen, dass ein Mensch, der zur Pflege seines Körpers, erfüllt von Liebe zur Natur, im Freien nackt wandert, niemals Anlaß zu öffentlichem Ärgernis geben, nie unzüchtig wirken kann.

Einstweilen besteht leider noch immer bei Nacktwanderungen die Gefahr beim Zusammentzreffen mit anders Gesinnten Anstoß zu erregen und mit Polizei und Gericht in Konflikt zu kommen, schon, wenn man sich in Luftbadehose befindet, erst recht aber, wenn man ganz nackt betroffen wird. Möchte die Aufklärung doch recht rasch um sich greifen und bald Wandel schaffen, damit einmal das Nacktwandern an sich nicht mehr so streng geahndet wird und damit vor Allem überall besondere Wege, die durchaus nicht die schönsten zu sein brauchen, zum Nacktwandern freigegeben werden. Bekleidete Wanderer müßten diese natürlich auch begehen dürfen, wie wollen niemanden ein Recht schmälern; nur dürften diese keinen Anstoß nehmen, wenn sie auf solchen Wegen dann Nacktwanderern begegnen.

Es ist ja an sich so unendlich leicht, allen Ansprüchen gerecht zu werden und jedem Menschen seine Freude zu lassen. Wer wird denn geschädigt, wenn wir bei einer Nacktwanderung eine wesentlich größere Kräftigung und Abhärtung unseres Körpers und ein viel höheres Wohlbefinden erreichen?

Sollen wir nur deshalb, weil wir früher in heute unverständlicher Weise unsere Körper von Licht und Luft ängstlich abgeschlossen, auch weiterhin Opfer völlig falscher Erziehung, einer unangebrachten, unbedingt in sittlicher Hinsicht ungünstig wirkenden Prüderie bleiben?

Doch zurück zu unserer Wanderung !
Stundenlang gings noch im Walde weiter, dann führte der wieder erreichte Weg hinaus in die Fluren. Heiß brennt die Mittagssonne vom wolkenlosen Himmel. Mehrfach müssen wir dicht an Feldern vorbei, auf denen Erntearbeiter beiderlei Geschlechts tätig sind. Wir weichen nicht aus, sondern wandern ruhig weiter. Sowie sie mich sehen, stutzen sie, rufen sich gegenseitig zu, „daß hier einer ganz nackig herumläuft” und eilen herbei. Wir erwarten sie und klären sie in freundlichen Worten über die gesundheitlichen und sittlichen Vorteile der Nacktheit im Freien auf, freilich wohl ohne besonderes Verständnis zu finden. Wir erreichten aber wenigstens, daß die Leute keine feindliche Haltung einnahmen.

E. Kühn berichtet dann weiter über die Wanderung im Wald und dem Nacktbaden in einem Waldsee, bis zur Heimreise.

Anmerkung:
Sieht man einmal von der „alten” Ausdrucksweise ab, so ist dieser Text auch nach gut 100 Jahren immer noch aktuell.
Es hat sich in der Zwischenzeit nicht viel getan, außer vielleicht, daß die Zahl der Nacktwanderinnen und Nacktwanderer immer mehr zunimmt.

zurück


Quelle:
Text und Bild aus »Die Schönheit«
Heft 3 - 1925