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Lichtschulheim Lüneburger Land

Der französische Journalist und Schriftsteller Roger Salardenne berichtete 1930 in seinem Buch »un mois chez les nudistes « ausführlich von seiner Reise durch die deutsche Freikörperkultur, über Vereine und Gelände, welche er besuchte ... und natürlich auch über das Lichtschulheim. Den Bericht über seinen Besuch in Glüsingen stelle ich hier in gekürzter Version vor.

Die Lüneburger Heide ist eine weite Tiefebene im Norden Deutschlands. Meine Reise dahin war eine "Expedition".

Ein Bummelzug brachte mich frühmorgens von Hamburg nach Lüneburg und dann benutzte ich einen Dampfstraßenzug, der mich nach Drögennindorf, dem Endpunkt meiner Fahrt, brachte. Ein Beamter im Lüneburger Bahnhof versicherte mir, daß ich in ¾ Stunden am Endpunkt ankommen würde, aber der Zug schleicht so langsam dahin, daß ich beginne, an der Aufrichtigkeit dieses Versprechens zu zweifeln. Ich habe dann noch 40 Minuten zu gehen, bevor ich Glüsingen erreiche, wo sich das Lichtschulheim befindet, das ich besuchen will. So hat es mir wenigstens Herr Dr. Fränzel, der Leiter dieser Schule, geschrieben.

Ich errate, daß Sie über diesen Titel etwas überrascht sein werden. Ein "Lichtschulheim" - vielleicht eine Anstalt, wo man das Handwerk eines Elektrikers oder Gasangestellten lehrt? Nein, das ist es nicht. Ich führe Sie in die einzige Nacktschule in Deutschland, eine Schule, in welcher die Schüler, die Lehrer und die Angestellten in vollständiger Nacktheit leben und dies von Anfang bis Ende des Jahres.

In Drögennindorf steigen einige Reisende aus, Bauern, die Einkäufe in der nächsten Stadt gemacht haben, ein Förster und ich. Dr. Fränzel, obschon er mich nie gesehen hat, hat mich sofort erkannt. Wenn er mich nicht erkannt hätte, so hätte ich ihn sofort erkannt. Er ist im Badeanzug an den Bahnhof gekommen, nackte Beine in Sandalen. Ein magerer Mann mit Brille, am Kinn einen kleinen Bart, die Nase leicht gerötet infolge eines Sonnenstiches. Ein junger Mann, gleichfalls im Badeanzug, begleitet ihn. Vorstellung. "Herr K. Lehrer an meiner Schule."
(...)
Obschon es noch früh am Morgen ist, ist es doch in der Sonne schon sehr heiß. Wir marschieren auf der staubigen Landstraße, durchziehen Drögennindorf und dann Betzendorf, ebenfalls ein kleiner Ort.
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"Der Schulplan ist der gleiche wie bei allen höheren Schulen. Vor einigen Monaten hat der Staat seine Genehmigung erteilt, aber ich darf erst Schüler von der fünften Klasse an aufnehmen. Die Jüngetsen, auch wenn sie bei mir wohnen und essen, müssen noch die Volksschule in Betzendorf besuchen. Das gefällt ihnen zwar gar nicht", fügt er hinzu, "die Kleinen würden es vorziehen, immer in Glüsingen bei mir zu bleiben, wie die älteren. Aber man darf nicht zuviel verlangen. Es ist schon ein ganz schönes Resultat, daß ich die Erlaubnis für die Erziehung der älteren Schüler bekommen habe."

"Wieviel Lehrer haben Sie", frage ich.
"Drei außer mir. Ich bin aber auch noch Lehrer an einer Schule in Berlin und kann nur in meinen Ferien nach Glüsingen kommen. Immerhin, sobald meine Schule einen gewissen Grad von Bedeutung erreicht hat, verlasse ich Berlin, um mich endgültig in Glüsingen niederzulassen. Außer meinem regelmäßigen Schulplan halte ich noch Lehrkurse ab, denn es gibt andere Schüler, die nur während einer bestimmten Zeit hier sind. Wir nehmen auch Erwachsene auf, die bei uns in der Lüneburger Heide reine Luft atmen und sich erholen wollen."

Glüsingen ist ein sehr kleines Nest von wenigen Häusern und ungefähr 50 Einwohnern. Es sind weniger Leute im Ort als auf dem Gelände von Dr. Fränzel. Wir haben das Ziel erreicht, dringen nunmehr ins Innere vor und sofort bin ich entzückt von dem Reiz der Einfachheit des Anwesens. Zwei alte Häuser inmitten eines sonnendurchleuchteten Gartens und eines herrlichen Waldes.

Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, ganz nackt, spielen sorglos auf dem Wege. Ein Knabe von 7 oder 8 Jahren auf einem Stühlchen ist sonnengebräunt. Etwas weiter spielt ein kleines Mädel, ebenfalls nackt, mit einem Wägelchen, in welchem eine Puppe sitzt, die Puppe aber ist ganz bekleidet. Beide Kinder unterbrechen ihr Spiel, um den Doktor lächelnd zu begrüßen. Dieser ruft sie: "Kommt her und sagt dem Herrn guten Tag!" Sie nähern sich mir und reichen mir artig die Händchen, indem sie knixen: "Guten Tag". Ich drücke ihnen die Hand, worauf sie zu ihrem Spiel zurückkehren.
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Wir überschreiten die Schwelle des einen Hauses und befinden uns in einem kleinen Büroraum. An der Wand eine große Karte von Deutschland mit einer Menge roter Punkte. "Das sind die Orte, in welchen deutsche Nacktgruppen bestehen". erklärt mir Dr. Fränzel. "Wie Sie sehen, sind es viele Orte."

Durch eine halbgeöffnete Tür sehe ich in die Küche, in welcher junge Mädchen im Badetrikot das Mittagessen zubereiten. Diese »Kleidung« überrascht mich. Ich erwartete hier ganz nackte Menschen zu sehen und man zeigt mir junge Mädchen im Badetrikot. Man hat mich also getäuscht und ich habe Lust zu reklamieren.

Was, dachte ich mit Bitterkeit, das sind also die Nackten. Ach was, das sind höchstens Badende. Gewiß, die Kinder sind nackt (...). Und in der Tat sah ich gestern im Zentrum von Hamburg auf der Wiese eines öffentlichen Parks nahe der Alster zu meinem Erstaunen ganz nackte Kinder, Knaben und Mädchen. (...) Man wird aber gleich sehen, daß ich Unrecht hatte, hierüber zu klagen.
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"Zuerst wollen wir das »Lichtland« besichtigen." (...) Eine Minute später gehen wir aus der Schule. - Herr Dr. Fränzel erklärt mir, daß das Gelände abseits liegt. "Um dorthin zu gelangen, müssen wir eine öffentliche Zone durchschreiten. Aus diesem Grund behalten wir das Trikot an. Aber auf dem Gelände ist die Nacktheit obligatorisch."
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Wir gehen durch eine Barriere und sind mit einigen Schritten in einem großen Park. Der Doktor sagt: "Wir dürfen kein schlechtes Beispiel geben." Dabei streift er rasch sein Trikot ab und enthüllt, alle Einzelheiten seines Körpers.
Dann sieht er mich mit einem Blick an, dessen Bedeutung ich sofort begriffen hatte. Ohne zu zögern und mit der Eile, mit der man eine bittere Pille hinunterschluckt, streifte auch ich mein Trikot ab.
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Dr. Fränzel nennt mir den genauen Flächeninhalt, ich kann mich aber leider nicht mehr an die Zahl erinnern. Meine Leser werden verzeihen, aber im Adamskostüm konnte ich mir keine Notizen machen.

Die Schüler und Gäste von Dr. Fränzel haben mehrere Hektar Land zu ihrer Verfügung mit Tannen-, Eichen- und Buchenbestand.

Es gibt viele Arten von Beeren, auch viel Wild: Hasen Rehe, Hirsche und sogar Wildschweine. Die Tiere leben in vollem Frieden, denn man jagt sie nicht, alle Besucher der Schule sind Vegetarier.

Jetzt sind wir auf einer Anhöhe. Es ist der höchste Punkt des Geländes. Ein wundervolles Panorama. Man wird schwerlich einen schöneren Platz zum Nacktleben finden. Welch erhabene Stille. Nirgend ein Haus, überall Wald und Heide, sonst nichts.
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Wir kommen endlich zu einer Gruppe nackter Menschen. Männer, Frauen, junge Mädchen, Kinder. Ich schäme mich erst ein wenig, aber doch viel weniger als ich anfänglich glaubte. Man gewöhnt sich sehr leicht an das Nacktsein. Ein junges Mädchen, auf dem Rücken liegend, lächelt mir zu. Sie ist hübsch und blond. Wie sie mich dauernd anguckt, bedecke ich mechanisch mit dem Trikot meine Schamgegend. Aus Scham? Nein, aus Koketterie. Ich glaube, ich verletze die Schönheitsgesetze. Zur Seite des jungen Mädels ist eine ganze Familie versammelt. Papa, Mama, die kleineren Kinder. Sie ruhen aus und atmen mit Wonne die reine Heideluft. Die Kinder betrachten mich ganz ruhig. Meine Nacktheit ist für sie etwas Natürliches.
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Wir sind nun vor einer kleinen Waldhütte, in der ein Bett steht.
"Das ist eine Nachthütte, für diejenigen meiner Gäste, die die Nächte hier verbringen wollen. Sie ist vollständig aus Material aus dem Wald gebaut. Eine zweite Hütte liegt etwas entfernter. Sie sehen, wir haben hier allen erdenklichen Komfort. Nur etwas fehlt, das Wasser. Um zu baden, müssen wir drei oder vier Kilometer weit laufen. Auch diesem Übelstand werde ich abhelfen und ein Schwimmbecken errichten."
(...)
Die Stimme Dr. Fränzels unterbricht meine Träume. Wir sind außerhalb des Geländes. "Es ist besser, jetzt wieder das Trikot anzuziehen, sonst könnten wir unangenehme Begegnungen haben, zum Beispiel einen Flurschützen treffen."

Ich stelle zu meiner Überraschung fest, daß mein Begleiter bereits sein Trikot an hat. Ganz nahe bei uns pflückt eine Bäuerin Heidelbeeren. Ich beeile mich, mein Trikot überzustreifen. Wie ich mir den Oberkörper bedecken will, sagt Dr. Fränzel: "Es ist sehr heiß, Sie können oben nackt bleiben." Ich gehorche. Wir kommen zur Bäuerin. Dr. Fränzel spricht sie an: "Bitte, liebe Frau, entschuldigen Sie wenn meine Gäste sich ahnungslos auf Ihr Gelände verlaufen."
"O, Herr Doktor," antwortet sie, "das ist gar nicht so schlimm. Vielmehr müßten wir um Entschuldigung bitten, wenn wir auf Ihrem Gebiet Heidelbeeren pflücken."

"Sie sehen hieraus," sagt Dr. Fränzel zu mir, "daß unsere Nacktheit die Bauern ganz und gar nicht aufregt, da sie uns auch auf ihrem Gebiet dulden."

In dem Augenblick, in welchem wir die Hausschwelle überschreiten, ertönt der Gong zum Mittagessen.
Ein Rudel nackter Kinder stürmt in den Speisesaal, wo bereits ihre Mütter, Väter und Lehrer versammelt sind. Im ganzen etwa vierzig Personen. Dr. Fränzel stellt mich vor:
"Das ist der erste Franzose auf unserem Gelände. Und hoffentlich nicht der letzte."

Dann öffnet er ein Buch und liest einige Gedanken von Rathenau vor, alle hören ihm stehend zu.
Nach dieser »philosophischen Vorspeise« geht jeder an seinen Platz. Der Speisesaal ist ausgefüllt von zwei langen Tischen, Bänken und Schemeln.
(...)
Der Direktor des Lichtschulheims erhält Briefe aus allen Weltteilen. Er gibt mir einige zu lesen. Ein englischer Philosoph zeigt seine baldige Ankunft an. Ein polnischer Nacktfreund beschwert sich, weil in Dr. Fränzels Zeitschrift »Soma« die Photos alle zu dunkel gehalten seien.
(...)
"Es ist bedauerlich," sagt Dr. Fränzel, "daß Sie nicht einige Tage früher oder wenige Wochen später gekommen sind. Sie hätten den Lehrkursus sehen können, aber jetzt sind leider Ferien. Hier in diesem Saale findet sonst Unterricht statt."

"Was kostet die Pension," frage ich.
"Hundertfünfundzwanzig Mark im Monat, alles einbegriffen. Unterkunft, Nahrung, Bücher, Wäsche und Kleidung."
(...)
Wir gehen durch den Garten, der die Häuser umgibt. Die Kinder spielen um einen Baum. Um die Eichen und die Tannen sind Bänke auf ländliche Art angebracht. Die stillen Tische unterm Grün der Bäume sind für Dichter, die Ruhe zum Schaffen brauchen. Dann kommt der Gemüsegarten, wo die Schule ihr Gemüse selber zieht. Nach den Gärten besichtigen wir die Zimmer, deren Einrichtung sehr einfach und sehr bequem ist. Alle sind gut gelüftet und sehr sauber. Wenn auch Dr. Fränzel »Zurück zur Natur« predigt, so ist er doch nicht dem Fortschritt der Neuzeit abhold. Er hat Telephon im Büro und überall elektrisches Licht. Auch der Geschmack ist nicht von Glüsingen verbannt, sondern jedes Zimmer ist in verschiedener Art und mit bestem Geschmack ausgestattet.
(...)
Ich frage: "Üben Sie auch im Winter nackt?"
"Ja, auch im letzten Winter, der in hiesiger Gegend besonders kalt war, haben wir mit einigen Schülern auf dem Gelände Nacktübungen abgehalten."
"Ganz ausgezogen?"
"Sicherlich!"
"Und Sie litten nicht unter der Kälte?"
"Keinesfalls. Ich will aber nicht sagen, daß wir uns im Winter auf den Rücken in den Schnee legten, um den Krähen zuzusehen. Nein, wir laufen, springen, tanzen und treiben Gymnastik. Solange man in Bewegung bleibt, kann man der Kälte trotzen."
(...)
"Haben Sie einen Arzt auf dem Gelände?" Ich muß hierbei erwähnen, daß Dr. Fränzel nicht Mediziner ist.
"Nein, aber meine Frau war Krankenpflegerin im Kriege. Sie kann Kranke Pflegen und kleine und große Wunden heilen. Wenn sich ein schwerer Fall einstellt, telephonieren wir dem Arzt in der nächsten Satdt, der mit dem Auto in wenigen Minuten hier sein kann. Ich kann Ihnen aber sagen, daß wir bis jetzt noch nicht einen einizigen Krankheitsfall unter meinen Schülern gehabt haben, seit ich die Schule gegründet habe. Das beweist wiederum, wie gesund die Methode hier ist."
(...)
Während die Sonne noch scheint, spielen wir erneut Faustball. Vorher muß ich aber meinen Namen in das »Gold'ne Buch« eintragen. Man überreicht mir ein dickes Buch, dessen Lektüre stundenlang dauern würde. Es enthält Gedanken, Gedichte, Atteste von allen Besuchern, die in Glüsingen waren. Es sind fast alle Sprachen vertreten, aber es ist noch kein Franzose dabei. Ich schreibe einige Zeilen und unterzeiche mit meinem Namen.
(...)

Roger Salardenne aus dem Buch »Bei den nackten Menschen in Deutschland«, 1930


»Lichtland«-Gelände
in Glüsingen
Gymnastik
im »LLL«
»Nachthütte«

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