Unsere  Gymnastik

von Adolf Koch


In bedrohlichem Maß ist die Verhaltensweise der meisten Menschen durch Anregungen, Anordnungen, Befehle und Wissensvermittlung bestimmt ... die ihren Ausgangspunkt in einer sachlichen, von vornherein zweckbestimmten Außenwelt hat.
Die gesitige Struktur der Gegenwartsmenschen ist durch Zusammenhänge gelenkt, welche den technischen Fortschritt bejahen. Die notwendige innere Klarheit und die Kritik an den scheinbarobjektiven Vorgängen fehlen.

Nur einige wenige haben die Kraft zur Eigenentwicklung, den Willen zur Gestaltung und nehmen das Recht des selbständigen Menschen für sich in Anspruch.

... der lebendige Mensch gerät in Vergessenheit. Der Mensch selbst muss wieder das Maß aller Dinge werden.

Die Gymnastik scheidet sich von den starren Formen des Turnens und des Sportes, mit all seinen Geräten und Reglementierungen. Die bisherigen Leibesübungen mit ihren mehr oder weniger vorbestimmten Abläufen sind zu steif und starr - und bringen weder Spaß noch Freude.

Von der Nacktheit des Leibes ausgehend, wird jede noch so einfache Körperform, jeder Atmungsvorgang, der schlichte Armschwung als Eigenvorgang erkannt, als das ABC des Leibes nicht nur erlernt, sonder gelebt.

Wenn ich (Anm.: Adolf Koch) zum Beispiel am Anfang einer Stunde Mädel und Jungen frei laufen lasse, erst hintereinander, dann vorwärts und rückwärts, dann durcheinander, ist das scheinbar wenig sinnvoll, aber für den einzelnen eine spielende Neuorientierung im Raum, mit und an dem Nächsten, ein Wecken des Tastsinnes und durch die Überraschungen, der Wendungen, in einigen Minuten Freude.

Ein genauer Ablauf unserer Gymnastik-Stunden läßt sich nicht festlegen, da es keine starren Übungsformen gibt.

Spaß und Freude an der Bewegung stehen stets im Mittelpunkt. Selbstverständlich lassen sich diese lockeren Gymnastik-Stunden auch in freier Natur durchführen.


Text: Adolf Koch - in leichter Kürzung
Quelle: HELIOS - Heft 27 - November 1952



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