Protestversammlung in Berlin
... gegen die Beschränkung der Freikörperkultur durch Neuköllner Schulleitungen
Wie wir bereits angekündigt hatten, war durch den Bund der Freikörperkulturschule Adolf Koch für den 8. Dezember 1931 eine Protestversammlung einberufen worden. Den Anlaß dafür bildeten, wie wir ebenfalls bereits berichteten, die Maßnahmen der Leitung zweier Neuköllner Schulen, die den Lehrern verbot, mit den Kindern gemeinsam nackt zu baden. Dem Rufe war zahlreich Folge geleistet worden. Die Aula der Rütli-Schule in Neukölln war bis auf den letzten Platz gefüllt. Besonders erfreulich war, dass auch viele Eltern erschienen waren. Die eingeladenen Lehrer der betreffenden Schulen fehlten, jedoch vollständig. Die Ursache dafür war, dass die ebenfalls eingeladene Schulbehörde an diesem Abend für alle Lehrer zentrale Konferenzen angesetzt hatte. Wahrscheinlich wollte man auf diese Weise die notwendige Aussprache verhindern. Als Parallelerscheinung zur heute immer mehr um sich greifenden Kulturreaktion ist die bedauerliche Tatsache festzustellen, dass selbst die Leiter und Lehrer der fortschrittlichsten Schulen Berlins beginnen, in entscheidenden Fragen zurückzuweichen. Der Druck geht ganz offensichtlich von den oberen Schulbehörden aus, denen die gegenwärtige gespannte politische Situation geeignet erscheint, verschiedenen Fortschritt auf pädagogischem Gebiet Wieder zu beseitigen. Das deutlichste Zeichen dafür war der rigorose Abbau aller Junglehrer am 1. Oktober dieses Jahres. Anstatt den durch Notverordnung bestimmten Abbau von Lehrkräften bei alten, pensionsfähigen Lehrern durchzuführen. wurden fähige, fortschrittliche Junglehrer abgebaut.
Die einberufene Versammlung sollte über diese Zusammenhänge aufklären. Zugleich sollte besprochen werden, was gegen elie besonders verordnete Beschränkung der Freikörperkultur zu tun möglich sei. Außerdem sollte den Eltern Material über das Wesen und den Wert der Freikörperkultur übermittelt werden, damit sie sich in Angriffsfällen entsprechend verteidigen können
Adolf Koch ergriff das Wort und stellte die rechtliche Stellung des Lehrers dar, der einer Freikörperkulturorganisation angehört. Es besteht keinerlei juristische Handhabe, gegen einen Lehrer vorzugehen, der sich zur Freikörperkultur bekennt. Es besteht juristisch auch keine Möglichkeit, einen Lehrer zu maßregeln, der im Einverständnis mit den Eltern gemeinsam mit seinen Schulkindern nackt badet. Nur eine Möglichkeit bietet hier das Gesetz. Und zwar ist das ein Gesetz aus dem Jahre 1751 (!), das vorschreibt, dass ein Lehrer sich auch: außerhalb der Schule „moralisch einwandfrei” zu führen habe. Nun wird es wohl heute kaum jemand einfallen, die Freikörperkultur mit Unmoralität gleichsetzen zu wollen. Es kann also keinem Lehrer verboten werden, Freikörperkultur zu treiben.
Friedrich Weigelt sprach über „Warum nackt sein?” Er stellte neben dem gesundheitlichen Wert ganz besonders die pädagogische Bedeutung der Freikörperkultur in der Sexualerziehung der Kinder heraus. Seine Ausführungen wurden durch eine Serie schöner Lichtbilder ergänzt, die auf dem Gelände und in den Räumen der Adolf-Koch-Schule aufgenommen sind.
Im Anschluß daran fand eine Diskussion statt, an der einige Eltern und auch zwei inzwischen von ihren Konferenzen eingetroffene Lehrer teilnahmen. Man war sich darin einig, dass man die Maßnahmen der Schulleitung nicht widerspruchslos hinnehmen dürfe. Zusammenfassend wurde dann beschlossen, an alle der Freikörperkultur nahestehenden politischen und kulturellen Organisationen ein Schreiben zu erlassen, ob sie auch in der gegenwärtigen Situation bereit sind, sich für die Bewegung einzusetzen. Auch die in behördlich leitender Stelle sitzenden bisherigen Befürworter der Bewegung sollen schriftlich befragt werden, um sie zu Konsequenzen zu veranlassen. Weitere Schritte sollen erst dann unternommen werden, wenn die Antworten auf diese Rundfragen eingelaufen sein werden. Auf jeden Fall aber soll die Öffentlichkeit von dem Verlauf der Angelegenheit unterrichtet werden. Zu diesem Zweck wird für Mitte Januar 1932 erneut eine öffentliche Versammlung einberufen werden.
Bemerkung:
Adolf Koch hatte zusammen mit jüngeren und reformwilligen Lehrern die Idee umsetzen wollen, mit behördlicher
Genehmigung und dem Einverständnis der jeweiligen Eltern, gemeinsam mit deren Kindern nackt zu baden - im
Sinne der Hygiene und der Sexualerziehung..
Quelle:
• Text: Lachendes Leben / Januar 1932